Einst holte Hobbypilot Andreas Wild die Antonov AN-2 aus Namibia, heute bricht er mit dem 60 Jahre alten Doppeldecker zu Rundflügen über das Fünfseenland auf.

Von Armin Greune, Herrsching

Das Motorengeräusch ist wohl allen Bewohnern des Fünfseenlandes vertraut: Es klingt, als ob ein Traktor gemächlich ein paar hundert Meter hoch durch den Himmel pflügt. Ganz so langsam wie es scheint, ist der Doppeldecker zwar nicht, aber Pilot Andreas Wild kann ihn problemlos noch bei 50 Stundenkilometern in der Luft halten. Die Antonov AN-2, die heuer 60 Jahre alt wird, schafft aber auch maximal 300 Sachen.

"Tante Anna" nennt sie der Herrschinger. Wenn er über sie spricht, schwingt nicht nur technische Begeisterung, sondern auch echte Zuneigung mit. Kein Wunder, schließlich haben die beiden zusammen das größte Abenteuer ihres Lebens überstanden: Vor 14 Jahren hat Wild seine schon damals betagte Tante aus dem Süden Afrikas nach Oberbayern überführt. Zwei Wochen brauchten sie damals für die mehr als 10 000 Kilometer lange Route.

Wer glaubt, ein fliegender Oldtimer sei nur ein Statussymbol für nostalgische und exzentrische Multimillionäre, wird von Wild widerlegt. Der steht als selbständiger Programmierer fest geerdet auf dem Boden wirtschaftlicher Tatsachen und hat kein großes Vermögen angehäuft. "Fliegen ist auch nicht teurer als andere Hobbys", für 150 Euro pro Stunde können sich Vereinsmitglieder der DLR-Flugsportgruppe ein Sportflugzeug ausleihen. Er sei wie die Jungfrau zum Kinde zum Fliegen gekommen, erzählt Wild: Der Zufall wollte es, dass er vor 25 Jahren, als er noch in Weßling wohnte, einen Anhalter auf der Strecke nach Oberpfaffenhofen im Auto mitnahm. Wie sich herausstellte, war Mathias Ganz bei der DLR-Flugsportgruppe Fluglehreranwärter und nahm im Gegenzug seinen Chauffeur bei den praktischen Ausbildungsstunden im Cockpit mit.

Schon im Juni 1994 hatte Wild seinen eigenen Pilotenschein. Die Schulung hatte er auf einer gewöhnlichen Cessna, aber einem außergewöhnlich anspruchsvollen Flugplatz absolviert: Die Start- und Landebahn in Jesenwang ist nur 440 Meter lang, "auf so einer kurzen Piste muss schon alles passen", sagt Wild. Als Externer wurde er in die DLR-Gruppe aufgenommen und unternahm so Ausflüge nach England, Frankreich, Italien und Tschechien: "Davon habe ich fliegerisch sehr profitiert." Er habe dort eine nette Gemeinschaft vorgefunden, die sich gegenseitig hilft, sagt Wild. Bis 1999 erwarb er in einer "sehr intensiven Ausbildung" mehrere weitere Flugberechtigungen und konnte dann selbst ehrenamtlich Schüler ausbilden und sich so bei den Kameraden der Flugsportgruppe revanchieren.

Die Antonov AN-2 fiel ihm erstmals 2001 als Spielzeugmodell auf, das in einem Regal verstaubte. Fast auf der Stelle erlag er der Faszination dieses "fliegenden Busses". Südlich von Wien wurde angeboten, die Maschine für 1100 Mark pro Stunde zu fliegen. Und nur ein paar Tage später saß Wild im Cockpit: Weder die zum Teil unverständlichen Instrumente in kyrillischer Schrift - "wie ein russischer Uhrenladen" - noch das Fehlen eines Bugrads konnte ihn abhalten. Als Spornradflieger stellt die AN-2 beim Start und Landen hohe Anforderungen an die Fähigkeiten des Piloten, die Lastenverteilung war Wild aber bereits im Umgang mit dem kleinen Sportflugzeug Sperling vertraut, der sein drittes Rad auch am Heck hat.

Noch im gleichen Jahr nahm er Kontakt mit der Firma "Classic Wings" im Münsterland auf, die gleich vier AN-2 in Betrieb hatte. Nach einem Checkflug regten die Inhaber an, den Berufspilotenschein zu erwerben, um regelmäßig für sie zu fliegen. Wild folgte der Empfehlung und belegte Abendkurse bei einer kommerziellen Flugschule in München - zumal sein Hauptberuf seinerzeit nur unsichere Perspektiven bot. Drei Jahre später kam dann der Anruf mit der Frage, ob er eine für Safariflüge in Namibia stationierte AN-2 zurück nach Deutschland fliegen wolle?

"Ich hab gedacht, jetzt oder nie". Ganz klar war Wild wohl nicht, worauf er sich da einließ: Vier Wochen allein nahm der Papierkrieg mit diversen afrikanischen Verwaltungsbeamten für die Überfluggenehmigungen in Anspruch. Auch Treibstoff wurde zum Problem: Die Propellermaschine kann kein billiges Kerosin tanken, sondern braucht spezielles Flugbenzin mit 100 Oktan. Schon in Livingstone, drei Kilometer hinter Namibias Grenze, musste man einen Tag warten, bis der Spritlaster angerollt kam. Die beiden Fluggäste gaben in Nairobi bei einem Wartungsstopp auf, bevor die gefährlichste Etappe bevorstand.

Eine robuste Dame für alle Klimazonen

Der Flug über den bürgerkriegsgeplagten Sudan mit drei 200-Liter-Fässern Reservebenzin an Bord barg ein gewaltiges Risiko: Mit dem gleichen Flugzeugmodell hatte die Regierungsarmee die Rebellen im Süden des Landes bombardiert. Zum Glück verbargen während des größten Teils des Überflugs tief hängende Wolken den Doppeldecker. Auf der anderen Seite boten sich Wild und seinen Mitfliegern unvergessliche Ausblicke auf die Victoriafälle, den Kilimandscharo, Abu Simpel und Luxor.

Unvergesslich war auch die Ankunft auf dem DLR-Flugplatz Oberpfaffenhofen, wo Freunde und die Kameraden aus der Luftsportgruppe im April 2004 Wild, seiner dreiköpfigen Crew und Tante Anna einen begeisterten Empfang bereiteten. Von da aus ging es weiter zum Grasflugplatz nach Bad Wörishofen, wo der Doppeldecker auch heute noch steht und regelmäßig zu den Rundflügen startet.

Einen Hangar braucht die robuste Dame nicht. Triebwerk und Technik sind so konstruiert, dass sie auch im tiefsten sibirischen Winter den Plan erfüllen kann: Das Mehrzweckflugzeug gilt laut Unfallstatistik als eine der sichersten Maschinen der Welt. Mit dem Spornrad am Heck ragt sie nach oben und kann so auch von den kürzesten Bahnen aus starten: Bei etwas Wind reichten schon 150 Meter halbwegs ebenen Bodens aus, sagt Wild. Und der Motor lasse sich wie beim Citroën 2 CV notfalls auch mit der Handkurbel anwerfen.
Zunächst erwarb Wild als Konzessionär von "Classic Wings" ein Viertel der Maschine, 2008 konnte er sie ganz bezahlen. Als der Chef in Nordrhein-Westfalen 2011 aufhören wollte, gründete der Herrschinger die "Classic Wings Bavaria". Von Mai bis Oktober bricht er sonntags bis zu vier Mal mit zahlenden Passagieren auf, um so wenigstens einen Teil der Unterhaltskosten aufzubringen. Neun Fahrgäste finden im weltgrößten einmotorigen Doppeldecker Platz, der trotz spartanischem Inneren einigen Komfort wie Ledersitze und große Panoramafenster bietet. Auch der Kopilotenplatz steht Gästen gegen Aufpreis zur Verfügung, denn um unter dem tiefblauen Glasdach die mächtigen Steuerhörner zu bedienen, reicht ein Flugkapitän.

Seit 13 Jahren bietet Wild die Ausflüge über das Fünfseenland oder zum Schloss Neuschwanstein an, mittlerweile hat die AN-2 an die 1000 dieser Touren hinter sich. Für heuer sind sie bereits alle ausgebucht, denn am 8. Oktober geht Tante Anna in die Winterpause, der nächste Start ist für 5. Mai 2019 vorgesehen. Bei schlechtem Wetter fallen die Nostalgieflüge aus, denn Wild oder der zweite Pilot Christian Zeus sind im Sichtflug und ohne Druckkabine unterwegs: Deshalb kann die Maschine nicht höher als 2000 Meter steigen und schon gar kein Gewitter überfliegen.

Wild geht grundsätzlich kein Risiko ein, das ist er schon seinem zehnjährigen Sohn schuldig. Robin ist immer mal wieder mit von der Partie, wenn ein Platz mal frei bleiben sollte: "Er liebt die Anna, da war er schon mit minus vier Wochen an Bord", scherzt der Vater. Und so wird die Antonov regelmäßig aufwendig gewartet, als studierter Ingenieur der Elektrotechnik versteht der 56-jährige ein wenig von der Materie.

2012 bekam Tante Anna ein neues Kleid aus Kunststoff spendiert und ein neues Triebwerk: 560 Kilogramm wiegt der Motor, ein 1,20 mal 1,50 Meter großer Block mit sage und schreibe 30 Litern Hubraum. Wenn der über den Himmel tuckert, liegt die Assoziation mit einer landwirtschaftlichen Zugmaschine nahe. Und tatsächlich wurde und wird Tante Anna vor allem als Agrarflugzeug eingesetzt, weshalb sie in ihrer russischen Heimat außer als "Anuschka" auch als "Kukurusnik", Maisbauer, bekannt ist.